PeerTube
Digitale Souveränität ist in aller Munde. Wir wollen uns im Ernstfall für kritische Infrastruktur nicht auf große US-Tech-Konzerne verlassen müssen. Im Prinzip betrifft das auch die Bildung. Ist es nicht kritisch, wenn steuerfinanzierte Bildungsresourcen am Ende exklusiv auf YouTube, Instagram oder gar TikTok landen?
Ich habe mir PeerTube angeschaut, die freie und datenschutzkompatible Alternative zu YouTube. PeerTube ist Teil des dezentralen sozialen Netzwerks Fediverse. Ich betreibe da jetzt meinen eigenen Server auf dem nur ich einen Account habe, der aber über ActivityPub mit allen anderen PeerTube und auch Mastodon verbunden ist.
Genau genommen kaufe ich das als Dienstleistung ein und zwar bei einem Magdeburger Anbieter namens OSSROX. Der Vertransabschluss ist ungefähr so kompliziert wie ein Netflix-Abo abzuschließen und kostet in der kleinsten Ausbaustufe aber deutlich weniger. OSSROX hat mir wegen meines Bildungsauftrags sogar noch einen kleinen Rabatt gegeben. Danke dafür!
Die größte Sichtbarkeit erreicht man je nach Inhalt sicher auf TikTok oder YouTube, und natürlich wollen alle irgendwie alle erreichen (ich auch, Mathe für alle!) und müssen daher auf allen Netzwerken präsent sein, sagen sie jedenfalls.
Da lässt sich viel drüber streiten, aber eine exklusive Veröffentlichung von steuerfinanzierten Inhalten z.B. auf YouTube ist fragwürdig. Ihr Geld machen YouTube, TikTok und Co mit den Nutzerdaten, denn die Leute die ich dann (mit Mathe 😉) auf die Plattformen schicke, werden da fein vermessen und dann als Werbeinventar Ralf Schumacher oder der AfD angeboten.
Die +1 Strategie, die Ralf Stockmann mal ins Spiel gebracht hat, besteht darin, dass jede öffentliche Institution neben allen ihren kommerziellen Kanälen, die sie bespielt eben auch eine freie, datenschutzkonforme Alternative bespielen muss. Für viele Einrichtungen ist selbst dieses Minimalziel noch Zukunftsmusik, weil ein ganzes Social Media Team einer mittelgroßen Hochschule einfach sagen kann, dass sie dafür keine Resourcen haben. Und außerdem gibt’s da ja zu wenig Follower und Herzchen, usw. usf.
Die Enshittification schreitet gnadenlos voran und daher ist meine Prognose, dass wir als Uni um den Aufbau eigener Kompetenzen, eigener Communities und eigener Dienste nicht herumkommen werden. Das beste Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung eines dezentralen Dienstes ist E-Mail. In der Anfangszeit des Netzes, herrschte in den Rechenzentren der Universitäten eine andere Kultur des Selbermachens und der eigenen Kompetenz. Früher war mehr Lametta! Es ist schon spät, wir sollten gestern angefangen haben, aber heute wäre auch gut. Morgen ist zu spät.
Meine Uni, die OvGU Magdeburg, betreibt eine MediaSite, was auch eine Art selbst-gehostetes YouTube ist. Ein interessantes Feature an dieser Seite ist, dass man eine Aufzeichnung im Hörsaal mit Hörsaal-Technik direkt dorthin aufnehmen kann, und sie gar nicht mehr auf der eigenen Hardware landet. Da kann man z.B. eine Einführung in die Optimierung von 2013 noch nachschauen, damals gelesen von meinem Kollegen Volker Kaibel. Ansonsten ist das meiste von dem Material dort nicht für die Öffentlichkeit freigeschaltet. Eine Fediverse-Anbindung gibt es (schon rein altersbedingt) natürlich nicht. Am 1. Januar 2025 wurden zwei Videos gepostet und davor zuletzt am 1. Januar 2021. Ob diese Daten stimmen?
Zurück zu PeerTube. Mein Server hat die Adresse tube.mathe.social. Die Konfiguration ist relativ schnell gemacht, man kann sich ein eigenes Logo hochladen und allerlei Einstellungen vornehmen. Der Server hat auch sofort förderiert, d.h. mein Nutzeraccount @tomkalei@tube.mathe.social war auch sofort von Mastodon, PeerTube oder sonstwo aus dem Fediverse sichtbar. Ich habe ein paar Shorts von YouTube und eine Corona-Algebra-Vorlesung gepostet. Leute haben kommentiert und die Plattformgrenzen verschwinden.
Wie sieht es mit den Features aus?
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Ein Video hochzuladen ist nicht schwieriger als bei YouTube. Man wählt die Datei aus, sie lädt hoch und wird dann in verschiedene Formate konvertiert. Da mein Server günstig ist, dauert das natürlich länger als bei YouTube. In den Einstellungen des Videos finden sich Standard-Dinge wie Titel und Beschreibung, Tags, etc. Man muss sich auch für eine Lizenz entscheiden (was vielleicht am Anfang etwas einschüchtert). Mit Creative-Commons Lizenzen kann man aber nichts falsch machen.
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Lädt man eine ganze Vorlesung hoch und will immer wieder die gleiche Lizenz und die gleichen Tags, so muss man sich scheinbar immer wieder durchklicken. Defaults lassen sich noch nicht konfigurieren.
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Transkripte (aka Untertitel) können im Prinzip automatisch erstellt werden, aber das funktioniert bisher nicht. Ich kann mir Transkripte mit whisper lokal erstellen und sie einfach hochladen. Beim ersten Video der Algebra-Vorlesung habe ich das getan und werde wohl noch weitere nachpflegen. Heutzutage fallen die Transkripte ja bei auphonic sowieso nebenbei heraus.
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Man kann für jeden Account mehrere Kanäle anlegen, die Videos in rückwärts-chronologischer Reihenfolge enthalten und eine stabile URL haben. Als zweite Ebene gibt es noch Playlists, die man beliebig sortieren kann.
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Im Prinzip wird ein YouTube Import angeboten um ganze YouTube Angebote umzusiedeln. Ich habe das probiert aber an keiner Stelle wurde dort ein Login von YouTube oder Access-Token nachgefragt. Da hatte ich dann schon große Zweifel und in der Tat tat es nichts.
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Ich habe die neue Instanz noch auf dieser Instanzliste eingetragen, woraufhin mir einige andere Instanzen gefolgt sind. Bei PeerTube folgen auch Instanzen einander, ich glaube sie spiegeln dann ggfs. populäre Videos von der anderen Instanz. Das erschließt sich mir aber nicht ganz.
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Es gibt eine Suchmaschine für das PeerTube Netzwerk namens SepiaSearch Man muss ein wenig die Bedienung und Filter kennenlernen, aber meine Videos sind dort bereits auffindbar.
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Wenn man keinen Fediverse Account hat, kann man nicht kommentieren und nicht auf Like klicken. Das ist bei YouTube natürlich auch so, aber durch die starke Verbreitung von Google-Accounts dort nicht so relevant. Will man mit Mastodon auf der Webseite kommentieren, trifft man auf die übliche Umleitung mit der man auf den entsprechenden Post gesehen von der eigenen Instanz umgeleitet wird. Direkt im Browser kann man nur kommentieren, wenn man auf dem PeerTube Server eingeloggt ist, was außer mir aber natürlich niemand ist.
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Es gibt eine PeerTube App die noch in einem Anfangsstadium zu stecken scheint. Es gibt Usability-Probleme und die Auffindbarkeit von Videos ist auch nicht gerade leicht. Die App ist bisher kein direkter Zugang zu allem Content auf allen PeerTube Instanzen - und das bräuchte man eigentlich.
Ich habe auch nach Mathematikinhalten im PeerTube Netzwerk gesucht. Es gibt ein paar Kurse und vereinzelte Videos. PeerTube wird hauptsächlich in Frankfreich entwickelt und ist daher dort verbreiteter. Es gibt kaum Mathe-Inalte auf Deutsch.
Einige Universitäten nutzen PeerTube um Medien anzubieten, z.B.
- Grypstube der Uni Greifswals hat auch was zu linearer Algebra, aber ohne Ton?
- Uni Paderborn Peertube
- Uni Bamberg nutzt es zum streamen ?
- Uni der Künste Berlin auch.
Kommen wir zum Fazit:
Mit PeerTube bekommt man relativ einfach ein selbst-kontrolliertes YouTube-artiges Hosting seiner Videos, was schon sehr gut ins Fediverse eingebunden ist. Aber wie verbreitet man jetzt die Inhalte? Wie bekommt man die Sichtbarkeit? Dazu muss natürlich erst mal das Fediverse selbst weiter wachsen. Am Ende bietet sich Mastodon oder normales Link-Sharing an. Nur mit einem Fediverse Account kann man folgen.
Die user experience ist wichtig und zwar auf beiden Seiten, beim Senden und beim Empfangen! Die PeerTube Community sollte sich darauf konzentrieren Komfort-Features für die Inhalteanbieter zu verbessern. Ein eigenes Konzept für Kurzvideos im Hochformat wäre eine schöne Sache. Die könnten z.B. direkt so verteilt werden, dass sie gültige Mastodon-Video Posts sind und direkt dort im Client angezeigt werden können. So könnten PeerTube Accounts “viral gehen” und das wollen wir am Ende doch alle, oder?
Immer stellt sich die leidige Frage der Reichweite. Aber kann sich eine steuerfinanzierte Einrichtung nicht auch etwas selbstbewusster auf den Standpunkt stellen, dass wir unsere Inhalte nicht vermarkten müssen.
Selbstverständlich müssen wir Zugangsbarrieren abbauen und unsere Angebote verbreiten. Aber YouTube, Instagram, TikTok, das sind doch keine verlässlichen Partner. Die Reichweite dort wird überschätzt, weil die Plattformen alles dafür tun, die Leute dort zu halten. Selbst das beste Mathe-Short wird nur sehr wenige Leute dazu bringen ihr Handy wegzulegen und Mathe zu machen. Das nächste Short oder der Schlaf sind immer näher. Vielleicht sind virale Shorts sowieso kein Umfeld, in dem wir mit Bildung und Wissenschaft stattfinden müssen? Und selbst wenn man alle diese Mechanismen akzeptiert, werden Meta, Google, TikTok und co. doch immer unsere Gegner bleiben im Ringen um Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit.
Wer diese Fragen diskutieren möchte kann das gerne auf Mastodon tun. Und wer einen Account auf tube.mathe.social haben möchte, kann mich auch gerne ansprechen. Ich weiss nicht, wo die Reise da hingehen kann, aber es ist gut, es ausprobiert und angeschaltet zu haben. Wir werden die freien und dezentralen Netzwerke noch sehr sehr dringend brauchen.
Und eine IRIS-T Flugabwehrrakete kostet laut Wikipedia 249.854 EUR. Für einen Schuss! Aber wir leisten uns keine eigene Infrastruktur zur digitalen Verteidigung des Wissens. Das ist am falschen Platz gespart.